Currywurst und Kabinett

Currywurst und Kabinett… Auf solche Gedanken können nur Verrückte kommen, vermuten Sie jetzt wahrscheinlich nicht ganz unrichtig. In der Tat haben dieses kulinarische Kabinettstückchen zwei begeisterte Enthusiasten ihres Fachs entwickelt: Ingo Holland und Christina Fischer. Aber es geht noch weiter: Dieses ungewöhnliche Pairing wurde unlängst auf dem Hongkong Wine & Dine Festival serviert und stieß auf sofort auf heiße Gegenliebe.

Manchmal muss man wagen!
„Können Sie mir sagen, welchen Wein ich am besten zu Currywurst kombinieren kann“, lautete die telefonische Anfrage eines umtriebigen Unternehmers aus Hongkong. Im Ruhrgebiet aufgewachsen war mir natürlich sofort klar, dass es Unmengen unterschiedlicher Currysaucen-Rezepte gibt und man nicht einfach „einen ganz bestimmten Wein“ dazu servieren kann. So bat ich um Bedenkzeit und rief meinen lieben Freund Ingo Holland, erprobter Sternekoch und Deutschlands Gewürzfachmann N°1 an. Es folgten einige Telefonate quer um den Globus. Im Vordergrund stand zunächst die Frage, welcher Weintyp denn überhaupt zu einer solch pikanten Sauce passen könnte.

Currywurst und Kabinett
Der Gedanke kam mir sofort! Aber geht das überhaupt? Passt ein klassischer, fruchtsüsser Riesling Kabinett zu einer pikanten Currysauce? Die beliebte rote Tunke lebt hauptsächlich von einem tomatig-würzigen Geschmack, sanfter Schärfe, Salz und Umami. Zudem ist sie kein Solist, in der Regel kommt die Currysauce in Begleitung einer fettreichen und Schärfe puffernden Bratwurst. Eigentlich ideale Voraussetzungen für einen klassischen Riesling Kabinett mit einem Restzuckergehalt zwischen 35 und 60 Gramm pro Liter. Aufgrund der Curry-Schärfe wäre es möglicherweise sinnvoller, dieses Experiment mit etwas süßeren Riesling Spätlesen durchzuführen. Aber mal ganz ehrlich: Currywurst und Riesling Spätlese? Schmeckt vielleicht, klingt aber nicht wirklich sexy…

Die Schärfe gibt den Takt vor
Ingo Holland, nicht nur erfahrener Küchenchef sondern auch profunder Weinkenner, sieht das ganz gelassen: „Der Schärfe-Grad der Sauce darf nicht zu hoch sein. Wenn die Basis neben Tomaten und der passenden Currymischung auch noch eine fruchtige Komponente aufweist, dann müsste es klappen.“ Das sehe ich genau so und damit fällt der Startschuss für ein spannendes Projekt. Das Beste: Die Teamarbeit mit Ingo Holland gewährleistet Qualität an allen Fronten, schließlich wird er zum Riesling Kabinett ein hochwertiges Saucenrezept entwickeln. Die Vorgabe: Die Schärfe muss zu einem Kabinett mit einem Restzuckergehalt zwischen 35 und 60 Gramm Zucker pro Liter passen. Kabinett im klassischem Sinn definiert, ist ein Weintyp und international bekannt. Jeder kennt das Profil eines klassischen Riesling Kabinetts, der im Vergleich zu allen anderen Süßweinen dieser Welt, angenehm leicht, erfrischend und fruchtig schmeckt, mit niedrigem Alkoholgehalt, delikater Süße und lebhaftem Säurespiel gesegnet ist. Kabinett lebt von seiner unprätentiösen Leichtigkeit und der köstlich anregenden Balance zwischen Frucht, Mineralität, Süße und Säure. Kabinett kann lagern und entwickelt sich mit entsprechender Reife zu einem ernst zunehmenden Essenspartner.

Los geht’s!
Bei unserem Projekt steht uns Ingo Hollands engster Mitarbeiter Joji Hachimure zur Seite. Er arbeitet seit zehn Jahren eng mit Ingo Holland zusammen,  kennt sich in der japanischen Küche ebenso gut aus wie bei den unterschiedlichen europäischen Küchenstilen. Die beiden haben bereits am Morgen vier unterschiedliche Basissaucen angesetzt:

Basissauce 1: Tomatenpüree, Tomatenmark, reife Tomaten, gelber Pfirsich, Knoblauch, Zwiebeln, Passionsfruchtsaft, Zucker, Reisessig (sehr fruchtbetont)
Basissauce 2: Tomatenpüree, Tomatenmark, reife Tomaten, Papaya, Zucker, Ingwer (eher neutral mit einem Hauch von fruchtigen Aromen)
Basissauce 3: Tomatenpüree, Tomatenmark, reife Tomaten, mit Himbeeren, Vanille, Zucker, Essig, Chili (recht säurebetont, Himbeeren und Tomaten passen sehr gut zusammen)
Basissauce 4: Tomatenpüree, Tomatenmark, reife Tomaten, Pflaumen, Zwiebeln, Zucker, Essig, Tee, Ingwer (schmeckt fast nach Fleisch, Umami lässt grüssen)

 

Ingo Holland erklärt: „Manche Früchte schlucken den Essig, deshalb sind die Zuckermengen unterschiedlich. Die Basissaucen müssen deshalb langsam, mindestens zwei bis drei Stunden bei niedriger Temperatur kochen, damit sie nicht karamellisiert. Anschließend wird die jeweilige Sauce mit einem Mixer püriert.“ Wichtig: wenn die Gewürze zugegeben worden sind, muss der Ketchup nochmal erwärmt (leicht gekocht) werden, damit die Gewürze ihren Geschmack abgeben können. Die Gewürze für die jeweiligen Saucen werden Milligramm genau abgewogen, hinzugefügt und alles schwarz auf weiss notiert.

Die Kombination
Nun folgt das Finetuning. Ingo Holland mischt sechs unterschiedliche Currys in homöopathischer Menge mit jeder Grundsauce, das heisst wir verkosten alle vier Grundsaucen mit jeweils sechs unterschiedlichen Currymischungen mit allen Weinen. Wer bis jetzt glaubte, dass diese Probe einfach zu bewältigen sei, dem wird spätestens jetzt klar, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Wir arbeiten extrem konzentriert bis tief in die Nacht. Wir wollten eigentlich noch so viel besprechen aber am Ende reichte es nur noch für ein eiskaltes Feierabend-Mineralwasser.

Zusammenfassend zeigt sich, dass sich die Basissauce mit gelbem Pfirsich, Knoblauch, Zwiebeln, Passionsfruchtsaft, Zucker und Reisessig in Kombination zu Ingo Hollands Goa-Curry als geradezu unschlagbarer Partner für die meisten Kabinette erweist. Ein weiteres Fazit: Die Aussage „Currywurst und Kabinett“ hält nicht grundsätzlich stand. Der gesuchte Riesling Kabinett muss bestimmte Voraussetzungen zu der partnerschaftlichen Sauce mitbringen. Die Schärfe muss auf den jeweiligen Kabinett abgestimmt werden. Was aber nicht wirklich schlimm ist, denn Sie können Ihre persönliche Sauce mit Ingo Hollands Currys jederzeit Ihrem herzallerliebsten Kabinett anpassen. Wir veröffentlichen die Ergebnisse unseres Experiments und hoffen, dass wir ein paar gleichgesinnte, ebenso gesinnte Currywurst- und Kabinett-Liebhaber finden, die es nachkochen!

Der passende Kabinett
Im Vorfeld haben wir gut zwei Duzend Winzer kontaktiert, um bei unserem Projekt auf eine umfassende Auswahl an unterschiedlichen Kabinett-Typen zurückgreifen zu können. Die Rieslinge zeigen eine repräsentative Auswahl fast aller unterschiedlichen Kabinett-Typen der deutschen Anbaugebiete. Zunächst wurden die Weine verkostet, beschrieben, bewertet und in unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Beispielsweise Kabinett-Weine mit Reife, feinherbe oder unkompliziert süffige Exemplare, Kabinette mit balancierter Süße, saftig wollüstige Typen oder präzise elegante Trouvaillen mit Potential. Je nach Schärfegrad erwiesen sich als Curry kompatible Siegertypen letztendlich die besonders vielschichtigen, vibrierenden Kabinette mit einem mittelhohen Restzuckergehalt von Mosel, Saar und Nahe. Eine weitere Faustregel hat sich bei diesem Tasting bewahrheitet: Süffige, balancierte, harmonisch eingestellte Kabinett-Typen wie der 2015 Hochheimer Königin Viktoriaberg Riesling vom Hochheimer Weingut Flick aus dem Rheingau (Alkohol: 10,5 % Vol.) passen sich der Curryschärfe extrem gut an. In Kombination mit der pikanten Sauce entwickeln sie herzerfrischende Lebhaftigkeit und einen facettenreichen Nachhall.

Basissauce „Tomate-Pfirsich“ mit Goa Curry
Die Basissauce mit gelbem Pfirsich, Knoblauch, Zwiebeln, Passionsfruchtsaft, Zucker und Reisessig imit Ingo Hollands Goa-Curry in homöopathischer Zuteilung bietet das beste Resultat, weil sie sich geschmackvoll mit der fettreichen Bratwurst vereint und lustmachende Lebhaftigkeit in das Pairing bringt.

2015 Wiltinger Kupp, Riesling Kabinett, Helmut Plunien, Weingut Vols, Ayl, Saar
Alkohol: 9,5 % Vol. | Verschlossen, zeigt wenig fruchtige Noten, intensive Süße, Säure kommt erst später, braucht Sauerstoff und Zeit, eher ein kraftvoller als ein zarter Typ, würzige, rauchige Noten (87/100). Der feste, etwas kräftigere Kabinett schmiegt sich den Pfirsicharomen geradezu an und fängt die Schärfe des Goa Currys extrem gut auf. Volltreffer.

2015 Hochheimer Königin Viktoriaberg Riesling Kabinett, Weingut Flick, Hochheim, Rheingau
Alkohol: 10,5 % Vol. | Dieser Kabinett zeichnet sich durch angenehme Unkompliziertheit aus, er ist saftig, harmonisch eingestellt und mit angenehmer Fruchtsüsse ausgestattet. Die Säure zeigt sich integriert, süffig und angenehm weich (84/100). In Kombination mit dem Curry gewinnt der Hochheimer Kabinett Lebhaftigkeit und süffisante Frische.

2014 Leiwener Laurentiuslay Riesling Kabinett, Nik und Annette Köwerich | Weingut Köwerich, Leiwen, Mosel
Alkohol: 7,5 % Vol. | Verschlossen im Duft, Fruchtaromen, Süße und Säure sind noch jugendlich vorlaut. Der Kabinett benötigt Sauerstoff, saftig, tänzelnd, Reife wird ihm gut tun, Balance und Potential erkennbar (88/100). Verbindet sich mit dem Goa Curry, aufgrund der zarten Art und der Jugendlichkeit bleibt eine minimale Spur Bitterkeit in der Länge, was sich mit zunehmender Reife ändern wird.

2008 Graacher Domprobst Riesling Kabinett, Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, Trier, Mosel
Alkohol: 8,5 % Vol. | Wenig Duft, zart, rauchig, gute Balance, nicht ganz so fruchtbetont, eher auf der mineralischen Seite (86/100). Diese eher klassische Typ entwickelt in Verbindung mit dem scharfen Goa Curry ebenfalls eine leichte Bitterkeit in der Länge. Tipp: weniger Sauce und mehr Bratwurst.

2011 Piesporter Goldtröpfchen Riesling Kabinett, Bischöfliche Weingüter Trier, Mosel
Alkohol: 9,0 % Vol. | Klar, fast noch jugendlich, zungenumwickelnde Fruchtsüße, im Nachhall dann fast trocken, Kabinett-Prototyp, klassisch, vielschichtig, saftig, komplex, Potential (88/100). Entwickelt sich allerdings lebhafter mit Kashmir-Curry. Hier ist Finetuning gefragt.

2015 Nierstein Riesling KabiNett, Kai Schätzel, Nierstein, Rheinhessen
Alkohol: 8,5% Vol. | Restzucker: 33,0 g/l | Weinsäure: 10,0 g/l | Kantige Frische, saftig, Biss, lebhafte, spürbare Säure, zu jung (87/100). Dieser Kabinett ist im Restzucker etwas niedriger als die anderen Kabinett-Typen eingestellt und darf deshalb nicht mit allzu viel Schärfe und konfrontiert werden. Zuviel Süße im Ketchup missfällt ihm ebenfalls, etwas Reife und Balance werden im guttun.

2015 Kupp Riesling Kabinett, Faß 8, Florian Lauer, Ayl, Saar
Alkohol: 11,4 % Vol. | Restzucker: 46,0 g/l | Gesamtsäure: 8,3 g/l | Zum pikanten Curryketchup im Moment leider viel zu jung und zu verschlossen, Spontinote. Solo ebenso jugendlich, dennoch zeigt dieser Kabinett bereits, was in ihm steckt: Komplexität, Vielschichtigkeit, Köstliche Tiefgründigkeit, Kraft, lebhafter Trinkspass, ansprechende Länge und Potential. (90/100)

2011 Zeltinger Sonnenuhr Riesling Kabinett, Selbach-Oster, Zeltingen, Mosel
Alkohol: 8,5 % Vol. | Zarte, sanfte Reife, klassische Aromen, eher Apfel als Pfirsich, extreme Fruchtigkeit. Eine Spur Vanille, roter Apfel, herrlicher, einfacher, klassischer Riesling, der im Moment etwas neben sich steht, dessen Komponenten aber mit etwas mehr Reife zusammenwachsen werden (86/100). Nur auf Tomaten, Ketchup oder gar Curry steht er im Moment gar nicht.

2015 Schloss Vollrads Riesling Kabinett, Oestrich-Winkel, Rheingau
Alkohol: 9,0 % Vol. | Restzucker: 60,4 g/l | Gesamtsäure: 9,5 g/l | Sehr jung, üppige, zungenumwickelnde Süße, eingebundene Säure und herbe Grapefruitnoten, insgesamt noch sehr jugendlich, saftig, harmonisch und wohlschmeckend (86/100). Braucht Reifezeit, damit der Restzucker sich integrieren kann. Aber genau diese harmonische, fruchtbetonte Süße mit macht ihn zu einem guten Begleiter von recht scharfem Curry-Ketchup mit Säure und Süße. Der Vollradser Kabinett steht auf Currywurst mit pikanter Sauce.

Nachtrag: Curry-Ketchup von Ingo Holland
Wer zuwenig Zeit und Muße hat, seine Currysauce selber zu kochen, kann sich auf die köstliche Zusammenstellung von Ingo Holland berufen. Einfach bestellen, Bratwurst beim Metzger des Vertrauens kaufen, Kabinett bei unten stehenden Winzern uns los geht’s!

2015 Goldloch Riesling Kabinett, Caroline Diel, Schlossgut Diel, Dorsheim, Nahe
(Alkohol: 8,0% Vol.) | Verschlossen, mineralisch, saftig, süffig, tolle Balance, hohes Niveau, präziser Nachhall (90/100), entwickelt sich kühl, mineralisch, äusserst prägnant mit Bratwurst und pikanter Currysauce.

2015 Ockfener Bockstein Riesling Kabinett, Nik Weis, Leiwen, Mosel
Alkohol: 8,5 % Vol. | Verschlossen, mineralisch, feine Säure, saftig, Säure bestens in der Süße integriert, präziser, sehr mineralischer Saar-Typus, der Zeit braucht, um seine Präzision entfalten zu können (89/100), insgesamt wunderbar mineralisch und kühl mit der Schärfe und der Wurst.

2015 Trittenheimer Apotheke Riesling Kabinett, Eva Clüsserath, Trittenheim, Mosel
Alkohol: 8,0 % Vol. | Restzucker: 46,0 g/l | Säure: 9,3 g/l | Zarter Duft, anziehende Frische, Lebhaftigkeit, tanzt über die Zunge, hohe Säure, sehr jung (88/100), in Kombination mit der Bratwurst und der scharfen Sauce noch eine Spur süss-sauer, der Kabinett ist schlicht und ergreifend zu jung, wird mit zunehmender Reife entwickeln.

Mehr Informationen über Ingo Holland und sein Tun: https://www.altesgewuerzamt.de/

Weitere Berichte: www.weinplaces.de

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